Von Petra Grünendahl
Früher zielte Sicherheit im Auto auf eine Verbesserung der passiven Sicherheitsmerkmale. Die schützen die Insassen aber erst nach einem Crash. Neuere Sicherheitssysteme greifen nicht erst im Falle eines Unfalles, sondern helfen schon davor, diesen zu vermeiden oder seine Auswirkungen zu mindern. Hier hat sich schon viel getan in den letzten Jahrzehnten, aber die Entwicklung schreitet stetig und schneller voran.
Aktive Sicherheitssysteme sind zum einen solche, die informieren bzw. vor drohenden Gefahren warnen, sowie zum anderen solche, die korrigierend eingreifen und den Fahrer damit unterstützen. Zu den informierenden Systemen zählen Mercedes-Benz Fahrspurassistenten, Nachtsichtgeräte und Abstandswarner. Weiter entwickelte Systeme von Abstandswarnern und Automatischen Abstandsregelungen gehen schon in den korrigierenden Bereich über, wenn sie mehr oder weniger deutliche Bremsungen (künftig bis hin zur Notbremsung) einleiten, sobald der vorgewählte Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug unterschritten wird. Über optische, akustische oder haptische Signale wie Vibrieren des Sitzes, Tonsignale sowie Kontrollanzeigen und Displays im Armaturenbrett warnen sie den Fahrer, sobald ihre Sensoren eine Gefahr erkennen, die dem Fahrer vielleicht noch nicht bewusst ist. Der Fahrer kann hierdurch schneller reagieren.
Korrigierend eingreifende Systeme sind zum Beispiel das Anti-Blockiersystem ABS, die Antriebsschlupfregelung ASR (auch Traktionskontrolle TC sowie das Elektronische Stabilitätsprogramm ESP (läuft auch unter den Bezeichnungen Dynamic Stability Control DSC, Vehicle Stability Control VSC oder Vehicle Stability Assist VSA), die Elektronische Bremskraftverteilung oder der Bremsassistent. Sie unterstützen den Fahrer aktiv, wenn die Fahrsituation brenzlig wird. Sensoren erkennen, ob die Räder blockieren, die Bodenhaftung verlieren, das Fahrzeug ins Schleudern gerät oder ob der Fahrer eine Vollbremsung einleiten will. Dann greifen sie ihm unter die Arme – oder vielmehr auf Bremsen und Räder, um das Fahrzeug zu stabilisieren oder zum Stehen zu bringen.
Bislang haben sich erst wenige Fahrassistenten auf dem Markt durchgesetzt. ABS wurde erstmals 1978 als Sonderausstattung angeboten, erst seit 2004 sind alle in Europa verkauften Neuwagen serienmäßig damit ausgerüstet. ESP ging vor gut 10 Jahren in der Oberklasse in Serie, die A-Klasse und der Elch sorgten für eine überdurchschnittlich schnelle Verbreitung dieses Systems in unteren Klassen. In Europa ist es heute in 40 Prozent der Neuwagen Standard, in Deutschland bereits bei gut zwei Dritteln. Speziell in den unteren Fahrzeugklassen gehört es aber eher seltener zur Serienausstattung, sofern es überhaupt verfügbar ist. Hier gibt es noch Verbesserungspotenzial, zumal je kleiner das Fahrzeug desto nötiger wären dieser Systeme.
Natürlich besteht bei diesen Systemen immer ein wenig die Gefahr, dass Fahrer riskanter fahren, weil sie glauben, die Elektronik wird es schon richten. Das ist ein Fehlschluss. Fahrassistenzsysteme sind kein Freibrief für eine riskante Fahrweise. Der Fahrer steht trotz aller Hilfen, die diese Systeme bieten, in der Verantwortung. Die Elektronik hilft, aber sie kann die Grenzen der Fahrphysik nicht außer Kraft setzen! Das muss sich jeder Autofahrer deutlich vor Augen führen: Fahrassistenzsysteme helfen, haben aber ihre klar definierten Grenzen, deren Überschreiten böse Folgen haben kann. Außerdem kann die Elektronik nur unterstützen. Dem Fahrer die Kontrolle aus der Hand nehmen kann und darf sie nicht. Der Fahrer bleibt voll verantwortlich für die Reaktionen, die sein Fahrzeug provoziert.
Unter der Fragestellung „Mehr Elektronik im Auto: Mehr Sicherheit im Verkehr?“ haben sich die Prüforganisation Dekra und die Winterthur Versicherung bei ihrer gemeinsamen Unfallforschung mit diesem Thema befasst. Drei Crashtests zeigen, wo Fahrassistenten helfen, Unfallfolgen zu mindern oder sogar Unfälle ganz zu vermeiden.
1. Der Gegenverkehrsunfall:
Ein Fahrzeug kommt bei einem Bremsmanöver ins Schleudern und rutscht in den Gegenverkehr
Auf regennasser Fahrbahn gerät das hintere Fahrzeug beim Bremsen ins Schleudern. Es rutscht quer zur Fahrbahn mit etwa Tempo 45 in den Gegenverkehr. Frontal knallt das mit 50 km/h entgegenkommende Auto dem schleudernden Fahrzeug in die Fahrerseite. Autsch!
Ohne ABS blockieren die Räder bei einer Vollbremsung, das Fahrzeug lässt sich nicht mehr lenken. Unterschiedlicher Grip auf dem Asphalt kann hier eine Ursache dafür sein, dass das Fahrzeug ins Schleudern kommt. Der Fahrer verliert völlig die Kontrolle und ist dem schleudernden Fahrzeug hilflos ausgeliefert. Auch über ESP, welches das Fahrzeug hätte stabilisieren können, bevor es ins Schleudern kommt, verfügt dieses Fahrzeug nicht.
2. Zwei zeitgleiche Auffahrunfälle:
Das eine Fahrzeug bremst eine halbe Sekunde eher
Auf beiden Spuren fahren Pkw mit 60 km/h auf zwei stehende Fahrzeuge zu. Der eine Pkw wird eine halbe (!) Sekunde eher abgebremst, was den Effekt eines Bremsassistenten simuliert. Er prallt damit mit geringerer Restgeschwindigkeit (ca. 25 km/h) in das vor ihm stehende Fahrzeug als der minimal später bremsende Wagen auf der Nebenspur, der beim Crash noch Tempo 50 auf dem Tacho hat.
Diese doppelte Restgeschwindigkeit bedeutet die vierfache Aufprallenergie. Dieser Sekundenbruchteil genügt also, um das Verletzungsrisikos deutlich herabzusetzen. Viele Autofahrer bremsen in Notsituationen nicht energisch genug oder lösen die Bremse nach dem ersten kräftigen Tritt wieder ein wenig. Ein Bremsassistent erkennt aber anhand der ersten Reaktion des Fahrers die Notsituation und baut unverzüglich die maximale Bremswirkung auf. Das verkürzt Bremswege und reduziert, wo Bremswege nicht ausreichen, die Restgeschwindigkeit und damit die Aufprallenergie.
3. Auffahrunfall am Stauende:
Ein Kleinlaster mit Anhänger fährt mit Tempo 70 in eine stehende Fahrzeugkolonne
Auf das Stauende fährt ein Kleintransporter mit beladenem Anhänger ungebremst mit Tempo 70 auf. Das hinterste Fahrzeug in der stehenden Kolonne wird vollständig zusammengedrückt. Die Überlebenschancen der Insassen sind gering. Das Verletzungspotenzial ist allein wegen der großen Masse des Nutzfahrzeugs auch bei niedrigen Geschwindigkeiten schon sehr hoch.
Großes Sicherheitspotenzial bietet die Elektronik auch bei Nutzfahrzeugen. Hier sind es speziell vorausschauende, mit Sensoren ausgestattete Systeme (Abstandstempomaten mit Notbremssystemen, wie sie bereits in der Entwicklung sind), mit denen sich über 60 Prozent der schweren Auffahrunfälle verhindern lassen. Auch bei schlechter Sicht erfassen die Radarsensoren vorausfahrende Fahrzeuge und ermitteln deren Geschwindigkeit in Relation zur eigenen. Durch Steuerung von Gas und Bremse halten sie den notwendigen Sicherheitsabstand.
Zudem würde auch die flächendeckende Ausstattung mit ESP – so eine Untersuchung – die Anzahl der Unfälle mit Kleintransportern und Lkws um 9 bis 20 Prozent reduzieren. Trotzdem ist die Ausstattungsquote bei Nutzfahrzeugen sehr gering. Nur 6 Prozent der neu zugelassenen Nutzfahrzeuge verfügen zum Beispiel über ESP. Meist wird in diesem Bereich bei der Anschaffung der vordergründigen Wirtschaftlichkeit Priorität eingeräumt gegenüber der Sicherheit. Nur dass sich auch ein Unfall wirtschaftlich nicht rechnet: Da wären möglicherweise andere Prioritäten unterm Strich günstiger gewesen!
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