UDV-Studie offenbart vielfältige GefahrenpotenzialeVon Petra Grünendahl
Zu Dritt sind sie unterwegs, in einem Wohnmobil der 3,5-Tonnen-Klasse, die gängigste Größe von Reisemobilen, wie sie auch Führerscheininhaber der Klasse B fahren dürfen. Das benutzte Geschirr ist zwar abgeräumt, steht aber auf der Küchenablage. Drei Kisten Sprudelwasser hatte man noch im Getränkemarkt geholt, bevor die Fahrt weiter ging: Die stehen aufeinander gestapelt hinten im Gang, davor liegt Pfiffi, ein Hund von ca. 20 Kilogramm, der sich bequem auf dem Boden fläzt. Zwei der Insassen sitzen vorne, ordnungsgemäß angeschnallt. Einer sitzt hinten in der Sitzecke am Tisch in Fahrtrichtung. Angeschnallt ist er nicht, obwohl es in dem 15 Jahre alten Mobil hinten Gurte gibt. So weit das Szenario, das die Firma cts crashtest-service.com GmbH in Münster präpariert hat. Gleich wird das Wohnmobil mit einer Geschwindigkeit von etwa 70 km/h auf einen stehenden Pkw auffahren und demonstrieren, wo Schwachpunkte von Reisemobilen und die Gefahren solcher Auffahrunfälle liegen, die laut Statistik vorherrschende Unfallkonstellation von Wohnmobilunfällen sind.
Die Unfallforschung der Versicherer (UDV) hat die Unfälle von Wohnmobilen untersucht. Sie sind zwar selten, aber häufig schwer: Zumeist Auffahrunfälle, bei denen Unfallgegner aufgrund der Größenunterschiede schwerer verletzt werden als Wohnmobilinsassen auf den Vordersitzen. Mitreisende im hinteren Wagenbereich sind noch einmal ein Gefährdetenpotenzial für sich. Wo sind Schutzpotenziale, wo sind Schwächen, die Insassen und Unfallgegner gefährden? Dem ging das Forschungsprojekt auf den Grund. Bei einem Crashtest in Münster stellte der UDV das Forschungsprojekt und seine Ergebnisse vor. Wohnmobile sind angesichts ihrer Größe eher als Gefährder unterwegs. Stellschrauben, die Gefährdung für eigene Insassen wie für Unfallgegner zu mindern gibt es einige, die auch vor Ort thematisiert wurden.
Die Wucht des Aufpralls und ungesicherte Ladung
Im Wohnmobil flogen ungesicherte Gegenstände mit rund 30 km/h durch das Fahrzeug Richtung Cockpit. Eine Wasserflasche (wenigstens war sie nur aus Plastik) schaffte es bis zur Frontscheibe. Pfiffi knallte mit voller Wucht gegen das Armaturenbrett. So leblos wie der Dummy dürfte nach so einem Sturzflug auch ein echter Hund vorne im Fußraum zwischen den Frontpassagieren liegen. Der Fahrer ist noch am wenigsten verletzt. Auch der Beifahrer saß vorne doch recht geschützt. Gegenstände von hingen haben zumindest die beiden nicht getroffen. Hinten hingegen herrscht ein Chaos. Nicht nur sind Hausrat und Ladung wild verstreut. Auch der Fondpassagier liegt mehr unter dem Tisch, der auch aus seiner Verankerung gerissen wurde. Im Wohnmobil ist er am schwersten verletzt, aber immer noch besser dran als der Insasse im Pkw.
Der Pkw wurde durch den Aufprall mehrere Meter nach vorne geschleudert. Der Fahrersitz des angefahrenen Fahrzeugs ist wohl gebrochen, der Fahrer „liegt“ schwerverletzt in seinem Auto. „Der ist ja ganz entspannt“, witzelt ein Kollege, aber der Fahrer wird am Lenkrad wohl kaum den linken Fuß zum Fenster raushängen gehabt haben. Der „Liegesitz“ nach dem Unfall wäre auch nicht geeignet, das Lenkrad noch in Händen zu halten. Möglicherweise hätte der Insasse des Pkw den Unfall gar nicht überlebt.
Vorbereitung und Crash. Fotos:UDV.
Verbesserungspotenziale zur Reduzierung von Unfallfolgen
Fahrdynamikversuche bescheinigen den Wohnmobilen ein eher gutmütiges beherrschbares Fahrverhalten. Wer sich allerdings nur für Ferienfahrten hinter das Steuer eines solchen Mobils setzt, ist vielleicht nicht schlecht beraten, vorher ein Fahrsicherheitstraining für solche Großfahrzeuge zu absolvieren, um seine Fahrgewohnheiten den Anforderungen entsprechend anpassen zu könne. Fahrassistenzsysteme sind im Vergleich zum Pkw seltener vorhanden. Die Bremsanlage ist vom Zulieferer des Chassis selten auf das nach einem Reisemobilausbau höheres Gesamtgewicht angepasst. Dazu kommt allzu häufig ein zögerliches Abbremsen, weil im Wohnraum Gegenstände nicht gut gesichert sind und durch die Gegend fliegen könnten. Die Sicherung von mitgeführtem Gepäck, Hausrat oder Verpflegung ebenso wie mitfahrenden Haustieren ist jedoch ein Muss, denn bei einem Auffahrunfall gefährden die nach vorne schießenden Teile auch die Frontpassagiere.
Überwiegend auf Landstraßen und am häufigsten bei Auffahrunfällen kommt es zu tödlichen Unfällen. „Viele davon müssten nicht sein, wenn Wohnmobile mit Bremsen nahe am Pkw-Niveau ausgerüstet und Fahrzeuge oft nicht auch noch überladen wären“, sagt Siegfried Brockmann, Leiter der Unfallforschung der Versicherer. Bremswege von 60 Metern seien nicht mehr zeitgemäß. Komme dann noch Ablenkung oder zögerliches Bremsen dazu, sei ein Auffahrunfall beinahe vorprogrammiert. Neben schlechter Ladungssicherung sind weitere Gefährdungspotenziale durch Überladung – die Bremsen werden damit erst recht überfordert – sowie alte oder abgefahrene Reifen gegeben. Auch die Sicherung von Passagieren im Wohnraum bedürfen der Verbesserung: Gurtsysteme auf allen Sitzplätzen sollten Pkw-Niveau haben, so die Unfallforscher, um hier Unfallverletzungen zu verhindern.
Crashfolgen. Fotos: Petra Grünendahl.
Die steigenden Neuzulassungen und damit der wachsende Bestand erhöht das Risiko. Detailwissen über die Struktur von Unfällen mit Wohnmobilen hilft, Unfallrisiken abzubauen. Von den 2014 bei Wohnmobilunfällen Getöteten waren vier Insassen im Reisemobil selbst, aber elf bei den anderen Unfallbeteiligten zu verzeichnen. Die Relationen bei Schwerverletzten sind ähnlich. Auch wenn die Zahl der Getöteten 2015 auf 19 stieg, sind die Zahlen eher seit Jahren rückläufig. Das Durchschnittsalter der verunglückten Wohnmobilen liegt bei 13,2 Jahren.
Der Crash im Widescreen-Format. Fotos: UDV.
Unfallforschung der Versicherer
Die Unfallforschung der Versicherer (UDV) (https://www.udv.de) im Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) (https://www.gdv.de) forscht und berät seit über 50 Jahren im Dienste der Verbesserung der Sicherheit und der Unfallvermeidung auf Deutschlands Straßen. Sie ist gleichzeitig einer der größten Auftraggeber für universitäre und außeruniversitäre Verkehrssicherheitsforschung. Die UDV pflegt den Austausch mit anderen in der Verkehrssicherheitsarbeit tätigen Institutionen. Die deutschen Versicherer bekennen sich damit ausdrücklich zu ihrer gesellschaftlichen Verantwortung für die Verkehrssicherheit.
© 2016 Petra Grünendahl (Text)
Film: Unfallforschung der Versicherer (UDV)
Fotos: UDV (18), Petra Grünendahl (20)
1 Trackback / Pingback
Kommentare sind deaktiviert.