DVR: „Noch ist es nicht zu spät“
Das 2011 von der Bundesregierung auf den Weg gebrachte nationale Verkehrssicherheitsprogramm strebt an, die Zahl der Getöteten im Straßenverkehr bis 2020 um 40 Prozent zu reduzieren. Jetzt ist es an der Zeit, eine erste Halbzeitbilanz zu ziehen. Auch die morgen in Worms beginnende Verkehrsministerkonferenz wird sich diesem Thema widmen.
Wichtigstes Zwischenfazit: Mit den bisherigen Ergebnissen ist dieses Ziel nicht leicht erreichbar. „Im Zeitraum 2014 bis 2020 müssten im Schnitt jedes Jahr rund 160 Menschen weniger im Straßenverkehr ums Leben kommen“, erklärt der Präsident des Deutschen Verkehrssicherheitsrates (DVR) Dr. Walter Eichendorf. „2014 hatten wir 3.377 Getötete im Straßenverkehr. Ausgehend von den 4.009 Getöteten des Jahres 2011 ergibt sich somit bis heute nur ein Rückgang von knapp 16 Prozent.“
Auch im europäischen Vergleich hat sich Deutschland hinsichtlich der Rate der Getöteten je eine Million Einwohner zwischen den Jahren 2011 bis 2014 verschlechtert. Zwar ist die Rate von 45 auf 42 gesunken, in der Rangfolge, die vom Europäischen Verkehrssicherheitsrat (ETSC) im Rahmen des PIN Programms jährlich ermittelt wird, ist Deutschland mittlerweile jedoch auf den achten Platz zurückgefallen. Deutschland hat sich zwar verbessert, aber andere Länder haben größere Fortschritte erzielt.
„Noch ist es nicht zu spät. Mit einer konsequenten und gefährdungsorientierten Fokussierung auf Maßnahmen zur Verbesserung der Verkehrssicherheit können wir die Zielmarke bis 2020 dennoch erreichen“, zeigt sich der DVR-Präsident zuversichtlich. Der DVR empfiehlt daher zum Beispiel, die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf sehr schmalen Landstraßen mit einer Fahrbahnbreite bis sechs Metern auf 80 km/h zu begrenzen. Wo die Sichtweite nicht ausreiche, um gefahrlos überholen zu können, solle zudem die Anordnung von Überholverboten geprüft werden.
Weiterhin nötig ist nach Meinung des DVR die konsequente Überwachung und Ahndung von erheblichen Geschwindigkeitsübertretungen, um das Verhalten der Auto- und Motorradfahrer zu einer sicheren und angepassten Fahrweise zu beeinflussen. Nach wie vor spielt die nicht angepasste Geschwindigkeit eine wichtige Rolle im Unfallgeschehen: 34,3 Prozent aller Todesopfer und 23,4 Prozent aller Schwerverletzten waren 2014 nach Angaben des Statistischen Bundesamtes auf diese Unfallursache zurückzuführen. „Hohe Geschwindigkeiten gepaart mit mangelndem Sicherheitsabstand führen immer wieder zu schweren Unfällen. Maßnahmen zur Geschwindigkeitsüberwachung sind deshalb besonders aktuell“, sagt Dr. Eichendorf.
Derzeit sterben rund 20 Prozent aller Getöteten im Straßenverkehr beim Aufprall auf Bäume. Daher müssen auch Baumunfälle bekämpft werden, indem bestehende Regelwerke angewendet und angepasst werden. Es sind nicht nur die dicken Alleebäume, die bei einem Aufprall für die Fahrzeuginsassen zu einer tödlichen Gefahr werden können. Selbst dünne Bäume sind lebensgefährlich, wenn das Auto zentral auf sie trifft und sie bis in die Fahrgastzelle vordringen. Der DVR ist der Meinung, dass Straßen möglichst so gestaltet sein sollen, dass sie Fehler von Menschen so weit wie möglich verzeihen können. „Daher sollten Neuanpflanzungen von Alleen und Nachpflanzungen in der Regel nicht erfolgen. Sofern dennoch Bäume gepflanzt werden, sind neben einem ausreichenden Abstand zur Fahrbahn zusätzlich Schutzplanken vorzusehen“, fordert der DVR-Präsident.
Darüber hinaus tritt der DVR für ein absolutes Alkoholverbot am Steuer ein. „Es geht um die klare Regel: wer fährt, trinkt nicht und wer trinkt, fährt nicht. Mit der Umsetzung eines Alkoholverbotes im Straßenverkehr besteht die Chance, die Zahl der Getöteten und Schwerverletzten deutlich zu senken“, zeigt sich Dr. Eichendorf optimistisch. Zudem belegen die Ergebnisse mehrerer repräsentativer Umfragen eine hohe gesellschaftliche Akzeptanz.
Zudem plädiert der DVR dafür, einen Modellversuch durchzuführen, in dem die Regelgeschwindigkeit innerorts von 50 auf 30 km/h umgekehrt wird. „Im Sinne der Sicherheitsstrategie Vision Zero müssen die Höchstgeschwindigkeiten auch innerorts den Gefährdungen angepasst werden“, meint Dr. Eichendorf. Ein wissenschaftlich begleiteter Modellversuch sei hilfreich, um zu gesicherten Erkenntnissen hinsichtlich der festgelegten Wirkungen, der Reduktionspotenziale von Unfällen und deren Übertragbarkeit zu gelangen.
Vor dem Hintergrund überproportional hoher Unfallzahlen müssen laut DVR ältere Verkehrsteilnehmer und die Gruppe der jungen Fahrer in den Fokus gerückt werden. Im Jahr 2014 sind 987 Verkehrsteilnehmer ab 65 Jahren und 496 junge Menschen im Alter von 18 bis 24 Jahren ums Leben gekommen.
Mit Blick auf die Älteren müsse weiterhin für mehr freiwillige Gesundheitschecks geworben werden, wie in der „Aktion Schulterblick“ des DVR. Ferner sollten Modelle für freiwillige Feedbackfahrten unter professioneller Anleitung entwickelt werden.
Feedbacksysteme seien auch für junge Fahrer erfolgversprechend. „Die jungen Leute brauchen längere Lernzeiträume, um die notwendige Professionalität am Steuer zu erlangen“, sagt Dr. Eichendorf. Dazu müssten immer wieder Möglichkeiten der Selbstreflexion, sogenannte „Korrekturschleifen“, in die Fahrausbildung und die erste Zeit des selbstständigen Fahrens eingebaut werden. „Die Vorschläge liegen auf dem Tisch, jetzt müssen sie in eine modellhafte Erprobung überführt werden“, fordert der DVR-Präsident.
„Es gibt noch viel zu tun. Weitere Sicherheitspotenziale müssen ausgeschöpft werden, um das Ziel, ausgehend von 2011 bis zum Jahr 2020 die Zahl der Getöteten im Straßenverkehr um 40 Prozent zu reduzieren, zu erreichen. Das kann gelingen, wenn alle am Thema Verkehrssicherheit beteiligten Akteure an einem Strang ziehen“, sagt Dr. Eichendorf.
– Pressemitteilung des DVR Deutscher Verkehrssicherheitsrat e. V. –